Schwedenhappen – Dickie-Tamiyas Scania R470

Schwedenhappen – Dickie-Tamiyas Scania R470

Seit Anfang 2005 kursierten in der Truckmodellbauszene Gerüchte über das Erscheinen einer neuen europäischen Zugmaschine aus dem Hause Tamiya. Mit der Zeit kristallisierte sich heraus, dass es ein zweiachsiger „Schwede“ werden sollte. Auf der diesjährigen Internationalen Spielwarenmesse in Nürnberg wurde den unendlichen Spekulationen ein Ende gesetzt und mit dem Scania R470 ein neues Zugpferd der Öffentlichkeit präsentiert. Eine 4×2-Sattelzugmaschine aus der aktuellen „R“ Baureihe in der „Highline“-Ausführung.

Nach dem Volvo FH12 ist der R470 der inzwischen zweite Schwede aus der japanischen Modellbauschmiede. Im großzügig gestalteten Hochglanzkarton ist alles aufgeräumt in Pappfächern untergebracht. Wie gewohnt befinden sich sämtliche Teile in mit Buchstaben versehenen Plastiktütchen, die den Baugruppen zugeordnet sind. Die 36 Seiten starke, als DIN-A4-Heft gestaltete Bauanleitung gibt nicht nur Aufschluss über das benötigte Werkzeug und die Farbtöne der auf dem Karton abgebildeten Ausführung. Sie bietet auch eine kurze Einführung mit Sicherheitshinweisen in den RC-Modellbau, was für Anfänger eine große Hilfe darstellt. In sehr gut bebilderten, kleinen und einfachen Schritten wird die Montage der Zugmaschine, angefangen vom Rahmen über Achsen und Getriebe bis hin zur Karosserie, dargestellt.

Übersichtlich

Pro Bauschritt werden alle zu verwendenden Schrauben im Maßstab 1:1 abgebildet. Hilfreich ist hierfür der Einsatz einer nicht zu kleinen Schale, in die die losen Kleinteile geschüttet werden, um das Erkennen der jeweiligen Schrauben, Muttern oder Stifte zu vereinfachen. Zum Ende der Bauanleitung wird noch der Einbau von Tamiya-eigenem Zubehör wie der Steuerungseinheit MFC-01 und der einfachen Lichtanlage beschrieben. Auf den letzten Seiten bekommt man einen Überblick über sämtliche Kunststoffspritzlinge, Schrauben und alle anderen Bauteile für eine etwaige Ersatzteilnachbestellung. Aufgrund der hohen Übersichtlichkeit können auch Einsteiger mit gesundem Menschenverstand die vorgegebene Reihenfolge der Bauschritte ruhig verändern. Ich zum Beispiel habe mich entschieden, als Erstes die Lackierarbeiten sämtlicher Karosserieteile durchzuführen, um der Farbe während der weiteren Montage die nötige Zeit zum Aushärten zu gewähren.

Bis auf Rahmen, Blattfedern und Vorderachse bestehen alle anderen Bausatzteile aus Kunststoff, die aber Tamiya-typisch von ausgezeichneter Qualität sind, was Lackiervorarbeiten wie Spachteln unnötig macht. Als sehr gut erweisen sich die TS-Farben von Tamiya in Spraydosen, die ohne Grundierung der Kunststoffteile zu verwenden sind. Für den Scania wurde als Hauptfarbe Metallicblau (TS-19) gewählt. Wenn man sorgfältig arbeitet, reichen zwei Dosen für die Fahrerhausteile aus. Der Kühlergrill wurde in einem dunklen Silberton (TS-42) gespritzt. Grundsätzlich ist es laut Hersteller nicht erforderlich, die Metallicfarbtöne klar zu lackieren. Wer jedoch einen wirklich perfekten Glanz bekommen möchte, dem sei dies doch empfohlen. Für die anderen Karosserieteile wie Stoßfänger, Kotflügel und Seitenteile wird ein Seidenmattschwarz (TS-29) aufgetragen. Auch hier sollten wenigstens zwei Dosen zur Verfügung stehen.

Neutralität

Kommen wir nun zum eigentlichen Zusammenbau. Vorab ist zu erwähnen, dass dem Bausatz für alle drehenden Teile Bronzelager beiliegen. Für einen besseren und energiesparenderen Rundlauf sind Kugellager aber eindeutig die bessere Wahl. Deswegen ist es ratsam, beim Kauf des Bausatzes die rund 20,– Euro Mehrkosten für einen Satz Kugellager zu investieren, denn ein nachträglicher Einbau bedeutet ein komplettes Zerlegen des Fahrzeugs sowie der Achs- und Getriebeteile. Für alle Funktionen des Trucks sollten am Sender drei Kanäle zur Verfügung stehen. Hier empfiehlt sich eine Fernsteuerung mit vier Prop-Kanälen, vielleicht noch mit der Option, diese für spätere Sonderfunktionen ausbauen zu können. Ein elektronischer Fahrtenregler, ein 8 bis 9 Newtonzentimeter starkes Lenkservo, ein Standardservo für das Schaltgetriebe und ein geladener 7,2-Volt-Akkupack sollten ebenfalls vorliegen. Vor dem Einbau ist es ratsam, einmal alles zusammen in Betrieb zu nehmen, um die Neutralstellung der Servos auszuloten.

Der schwarz eloxierte Aluminiumrahmen wird im klassischen Leiterstil zusammengebaut. Vorne findet das Schaltservo quer ausgerichtet seinen Platz, links am Rahmen wird das Lenkservo mit einer sehr originalgetreuen Mimik, die leider ein recht großes Spiel zur Folge hat, befestigt. Ein kleiner Wermutstropfen ist, dass die zwei verschiedenen und dem Bausatz beiliegenden Aufnahmen für den Servosaver nicht kompatibel mit dem mitgelieferten Servo waren. Das bedeutete den Verzicht auf einen Servosaver und den Einsatz des normalen Servohorns, was aber zu verschmerzen ist. Anschließend steht laut Anleitung der Aufbau der Achsen und des Getriebes auf der Agenda. Wer schon mal einen Tamiya-Zweiachs-Truck zusammengebaut hat, wird schnell merken, dass sich der Hersteller für die neue Zugmaschine aus dem bestehenden Sortiment bedient hat. Im Automobilbau nennt man das auch Plattformsystem.

Geometrie

Der technische Aufbau gleicht dem MB 1838 und dem Volvo FH12. Grundsätzlich bedeutet das natürlich eine kostengünstige Produktion, andererseits wurden dadurch auch schon eine bestehende „Fehlkonstruktionen“ mit übernommen. So zum Beispiel die Vorderachse, die bekanntermaßen aus den US-Trucks stammt und in die europäischen einfach andersherum eingebaut wurde. Das hat zur Folge, dass die Achsgeometrie nicht mehr stimmt, da die Spurstange sich nun vor der Achse befindet, sodass bei Kurvenfahrten das äußere Rad weiter einschlägt als das Innere. Wen das stört, der kann recht einfach Abhilfe schaffen: Die beiden Achsschenkel werden einfach umgedreht eingebaut und in den rechten eine passende Bohrung für die Aufnahme des Lenkstangenkugelkopfs eingebracht. Die neue Spurstange, die man schnell aus einer 3-Millimeter-Gewindestange selbst herstellen kann, muss etwas gekröpft werden, um die Befestigungsschraube des Getriebes zu umgehen. Danach ist die Lenkgeometrie wieder stimmig.

Der Zusammenbau der Hinterachse und des Dreigang-Getriebes ist für technisch interessierte Bastler ein echtes Highlight. Hier sieht und begreift man schnell und einfach den Aufbau und die Funktionsweise eines Differenzials und eines Schaltgetriebes. Das kann auch für eine spätere Fehlersuche hilfreich sein. Beide Achsen werden, an Blattfedern hängend, am Rahmen befestigt. Keine dämpfende Funktion haben die schönen, rot eloxierten Alu-„Stoßdämpfer“, die mit einer kleinen innen stehenden Feder eben nicht dämpfen, sondern die Blattfedern unterstützen. Nachdem das Fahrzeug ab jetzt auf eigenen Beinen stehen kann, vollzieht man nun die Hochzeit. Der leider immer noch viel zu „schnelle“ Motor, als Einheit verbunden mit dem Getriebe, wird mit dem Rahmen verschraubt.

Attrappen

Als nächstes kümmert man sich um die Sattelkupplung, die recht schnell zusammengesetzt ist. Das Öffnen und Schließen wird manuell über einen Hebel und eine kurze Gewindestange bewerkstelligt. Diese Arbeit könnte auch mit einfachen Umbauarbeiten ein Miniservo übernehmen, vorausgesetzt, es steht noch ein freier Kanal im Empfänger zur Verfügung. Die Aufnahme des Fahrakkus übernimmt eine Halterung, ausgelegt für den Einsatz eines 7,2-Volt-Racingpacks, die ziemlich mittig unter den Fahrzeugrahmen geschraubt wird – ganz, wie es bei Tamiya-Trucks üblich ist. Das optimiert nicht nur den Fahrzeugschwerpunkt, sondern gewährleistet gleichzeitig einen schnellen Boxenstop für den Akkuwechsel. Oberhalb des „Stromtanks“ werden für die gute Optik jeweils links und rechts eine Tankattrappe befestigt. In den folgenden Schritten bekommt das Plattformmodell so langsam seinen eigenen Charakter. Kotflügel, Seitenteile und Rücklichter finden ihren Platz. Bei den Rücklichtern fällt auf, dass lediglich der Einsatz von je drei 5-Millimeter-Leuchtmitteln vorgesehen ist, wobei die Streuscheibe bei korrekter Bemalung eine fünffache Bestückung darstellt. Tamiya unterstützt verständlicherweise bevorzugt den Einsatz hauseigener Lichtanlagen, wie zum Beispiel der MFC-01. Dennoch ist genügend Platz für eine originalgetreue Beleuchtung, die aber eine gewisse Nacharbeit erfordert.

Zu guter Letzt wird die mehrteilige Fahrerhütte komplettiert. Um ein vernünftiges Ergebnis zu erzielen, habe ich, wie schon erwähnt, alle Karosserieteile zuerst einzeln vorlackiert, um in alle Ecken und Kanten Farbe zu bekommen. Für die Endlackierung wurde das Fahrerhaus dann komplett zusammengebaut, um unschönen Lackschatten zu vermeiden. Beim weiteren Zusammenbau der Fahrerhütte zeigte sich, dass Tamiya bei der Seitenfensterbefestigung immer noch die „Spiegelarmvariante“ einsetzt, was schon beim Volvo FH12 die Modellbauer etwas verwunderte, da dadurch das originale Spiegeldesign nicht umgesetzt wurde. Dieser kleine Makel hat sich so auf den neuen Scania R470 übertragen. Bei Bedarf kann man aber bei EBH-Modellbau, einer Modellbauschmiede in Bayern, originale Außenspiegel ordern. Dann müssten die Seitenscheiben mit normalen Schrauben befestigt werden. Positiv zu bemerken ist die Tatsache, dass im Vergleich zum Volvo die Verglasung des Fahrerhauses den Einblick in die Hütte gewährt und diesen nicht durch abgedunkelte Scheiben verwehrt. Etwas unschön ist die Befestigung der Fahrerhaushaltestange fürs Kippen. Bei diesen blickt man mitten auf der Beifahrertür auf zwei kleine silberne Schraubenköpfe und durchs Beifahrerfenster schaut man direkt auf die senkrecht stehende Haltestange. Zwei Negativeffekte durch nicht weiter entwickelte Plattformen.

Reichlich Details

Das Armaturenbrett mit dem Lenkrad hingegen ist sehr gut dem Original nachempfunden, nach dem Aufbringen der passenden Aufkleber wird die Optik nochmals verbessert. Zusammen mit Fahrer- und Beifahrersitz wird es an der Stirnwand befestigt. Für Individualisten gibt es auf jeden Fall ausreichend Platz, die Innenausstattung noch wohnlicher zu gestalten. Nachdem das Fahrerhaus mit seinem Kippmechanismus vorne am Rahmen befestigt ist, wird zu guter Letzt die Frontschürze mit ihren schönen Klarglasscheinwerfern, die sogar mit kleinen Scheibenwischern versehen werden, montiert. Auch hier können auf Wunsch alle Beleuchtungseinrichtungen natürlich zum Leben erweckt werden.

Von außerordentlich hoher Qualität und sehr gut bestückt ist der Decalbogen. Nicht nur mehrere Motorvarianten stehen per Sticker zur Verfügung. Auch diejenigen, die ihren Scania zum „Topline“ aufrüsten möchten, bekommen ihren Schriftzug. Selbst Heckaufkleber für Auflieger stehen zur Verfügung. Recherchen im Internet ergaben, dass die 470er-Motorisierung im Original durch eine 480 PS starke Variante ersetzt wurde. Diese aktuelle Entwicklung findet sich verständlicherweise jedoch nicht in Aufkleberform wieder. Die 560-PS- und die 620-PS-Version als Topmotorisierung des 16-Liter-V8-Aggregats standen zur Debatte. 620 PS sollten es sein – wenn schon, denn schon. So findet auch der hübsche kleine Sticker in Form des V8-Emblems auf dem Kühlergrill seinen Platz und verkümmert nicht auf dem Klebebogen.

Endlich stand die erste Probefahrt an. Wie vorab schon erwähnt, besteht die Antriebseinheit serienmäßig aus einem viel zu schnell drehenden Motor. Einfache und schnelle Abhilfe schafft der sofortige Einbau eines langsamer drehenden Truck-Motors im entsprechenden Bauabschnitt. Der Markt bietet hierzu mittlerweile ein ausreichendes Angebot. Als elektronisches Gaspedal kommt der Carson-Truck-Regler 15T (siehe auch TRUCKS & Details 2/2006) zum Einsatz. Mit ihm lässt sich die Zugmaschine gefühlvoll über den Parcours bewegen. Selbst bei moderater Steigung hält die Handbremsfunktion des 15T den Scania inklusive des nicht ganz leichten Carson-Euroaufliegers als Anhängsel, der übrigens sehr gut zu der Zugmaschine und bestimmt auch zu den anderen Europäern aus Japan passt.

Empfehlenswert

Mit dem langsam drehenden Motor macht es erheblich mehr Freude, zwischen den drei gut zu schaltenden Gängen zu wechseln. Grundsätzlich sollte man beim Schalten kurz das Gas wegnehmen, um den Zahnrädern im Getriebe keine Möglichkeit zu geben, Karies zu bekommen. Wenn es aber erforderlich ist, an Steigungen schnell runterzuschalten, kann man das auch mal unter Last machen. Wer sicher gehen will, immer in der gewählten Gangstufe geführt zu werden, dem bietet die Bauanleitung eine Schablone, mit deren Hilfe man sich eine Schaltkulisse für die Fernsteuerung bauen kann. Etwas störend ist die ständige Korrektur der Lenkung für einen sauberen Geradeauslauf, was einerseits auf die mit relativ viel Spiel behaftende Umlenkmimik, andererseits auf die Umbaumaßnahmen mit einem recht kleinen Hebelweg des Stellhebels zurückzuführen ist.

Trotz der beschriebenen kleinen Mängel bekommt man mit dem neuen Scania R470 von Tamiya summa summarum ein aktuelles Modell aus dem europäischen Markt, das mit einem attraktiven Preis von 299,– Euro und der Tamiya-üblichen hohen Qualität sowie der sehr reichlichen Ausstattung auch für Einsteiger absolut zu empfehlen ist.