Anno 1291 – Geschichte einer Jugendliebe

Als heranwachsender Modellbauer Ende der 1970er-Jahre von den Fahrzeugen der Straßenmeisterei begeistert, blieb deren Umsetzung ins Modell doch immer nur ein Traum. Bis jetzt. Denn als ein Steyr-Fahrerhaus und ein passender Kran meine Wege kreuzten, wurde die erkaltete Jugendliebe wieder heiß und innig. Das Original-Vorbild des hier vorgestellten Modells gibt es mit verschiedenen Fahrerhauslängen. Eher üblich war die kurze Ausführung, aber auch die lange ist durchaus gebaut worden. Hütte und Kran stammen von zwei sehr guten Freunden, somit waren die beiden wichtigsten Teile vorhanden. Der Rahmen besteht aus klassischen Alu-U-Profilen, die Achsen stammen von robbe, die Reifen von Veroma, der Motor von LRP, die Federn von WEDICO, die Anhängekupplung von gerdmodellbau und der Kleinkram inklusive der Getriebe­­teile von Conrad. Klingt nach wenig, es waren aber am Schluss ganz schön viele Einzelkomponenten. Wie es Euch gefällt Quasi das Herzstück des Fahrzeugs stellt das kombinierte Schaltgetriebe dar. Es liegt nicht nur im Herzen des Fahrzeugs, nein, es ist auch der zentrale Punkt. Im Fahrerhaus sitzt – eigentlich liegt es – ein Viergang-Getriebe. Als Nächstes erfolgt über Zahnräder eine Tieferlegung des Antriebsstrangs, der dann mit einer Gelenkwelle unter der Kransäule weiter zum Verteilergetriebe führt. Dieses liegt mittig im Rahmen und hat mehrere Aufgaben: Einerseits dient es als Verteilergetriebe für den Allrad-Antrieb. Andererseits dient es in Zweigang-Ausführung als Splitter für das Hautgetriebe. Und jetzt kommt die ganze Geschichte, die die Entwicklung etwas kompliziert gemacht hat: Das Verteilergetriebe fungiert tatsächlich als echter 50-Prozent-Splitter für das Hauptgetriebe, deren Gangsprünge entsprechend ausgelegt werden mussten. Und das alles mit handelsüblichen Zahnrädern in Fünfer-Sprüngen. Also hat man vier Hauptgänge und kann jeden Gang splitten. Damit das Ganze auch für Modellbauerhände im Fahrbetrieb praktikabel ist, wurde eine Logistik entworfen, die von einem weiteren hilfsbereiten Freund in eine elektronische Schaltung umgesetzt wurde. In der Praxis habe ich am Sender einen Taster mit Mittelstellung, der analog zu einer Tiptronic funktioniert. Nämlich: Taster kurz nach vorne: halber Gang rauf. Taster lang nach vorne: ganzer Gang rauf. Beim Runterschalten funktioniert das Ganze analog. Und das in einem Geschwindigkeitsbereich von Kehrmaschine bis Autobahn. Und das Schönste an der Geschichte ist – es funktioniert. Als Draufgabe haben mir meine Elektroniker noch eine Ganganzeige gemacht, die in Zahlen von eins bis acht den jeweils eingelegten Gang anzeigt. Die beiden Schaltgetriebe sind als Muffenschaltungen ausgebildet. Das Hauptgetriebe besteht aus drei Wellen, wobei sämtliche Zahnräder ständig im Eingriff sind. Der Kraftschluss erfolgt durch Sechskant-Muffen, die zwischen den Zahnrädern verschoben werden. Auf den Zahnrädern wurde dazu der Bund auf einen Sechskant gefräst, der die Muffe dann in den jeweiligen Endstellungen aufnimmt. Die Bewegung der Schaltstange übernimmt ein Mini-Servo, das treu und unauffällig seinen Dienst tut. Aber gerade bei den drei Winzlingen ist etwas Vorsicht geboten. Wenn die mechanische Einstellung nicht exakt passt und die Servos gegen Widerstände stoßen, können sie sich zu regelrechten Energie-Säufern entwickeln, die in der Vernichtung von Ampere nicht zimperlich sind. Ich kann guten Gewissens sagen: Es macht einfach nur riesigen Spaß, damit zu fahren. Hilfestellung Damit der Steyr 1291 auch arbeiten kann, braucht es natürlich eine Ladefläche. Diese besteht aus 3-Millimeter-Alu mit dem üblichen Kipperbrücken-Rahmen im Untergrund. Die Stirnbordwand besteht aus dem gleichen Material. Bei den seitlichen Bordwänden und dem hinteren Exemplar wollte ich zuerst selbst Hand anlegen. Die haben nämlich Längssicken, die im Original im Prinzip aus aufgeschweißten Profilen bestehen. Auch die Bordwandlagerungen, die auf die Bordwände geschweißt werden, begann ich, selbst durch Fräsen und Bohren herzustellen. Nachdem ich für ein Stück sehr lange gebraucht habe, verschaffte ich mir über einen weiteren Modellbaukollegen Zugang zu einer CNC-Fräse. Anhand meines „Originals“ fertigte ich gleich zwölf Kopien an. Zusätzlich wurden in die Bordwände die Sicken gefräst. Also zusammenschrauben, U-Profile als Lager unten auf die Pritsche schrauben, Löcher bohren, Lagersplinte fertigen und schon waren die Bordwände an ihrem Platz. Die hintere musste natürlich oben und unten angeschlagen werden. Das geschah mit einem einfachen Verschluss, der mit einer M2-Schraube als kleine Kurbel ausgebildet ist. Wenn man unten die Splinte rauszieht, ist die Bordwand oben pendelnd gelagert. Die Splinte selbst sind mit einer Kette angehängt. Unten Splinte rein, oben Kurbel raus, und schon klappt die Bordwand runter. Durch die Ausführung kann man bei geschlossener Heckbordwand auch die seitlichen runter klappen. Und beim Original hat man auch aussteigen dürfen, um die Bordwand händisch aufzumachen. Gekippt wird das Ganze mit einem Getriebemotor, der hinten auf der Brücke befestigt ist und eine 6-Millimeter-Spindel antreibt, die über ein Gewindestück und eine Verbindung in den Rahmen die Brücke nach drei Seiten kippt. Bis jetzt hat er brav alle Lasten gekippt. Organisiertes Chaos Damit alles gut funktioniert, möchten die elektrischen und elektronischen Komponenten sowie auch die Steuerung gut untergebracht werden. Gerade bei einem Baufahrzeug sollte man besonderen Wert auf eine staubfreie und einigermaßen Spritzwasser-geschützte Ausführung legen. Da potentielle Tarnungsräume in Form von Tank oder Batteriekasten aus nachstehend angeführten Gründen leider nicht vorhanden waren, musste ich wohl oder übel alles im Fahrerhaus unterbringen. Nicht nur technisch stellt das Schaltgetriebe das Zentrum dar – nein, leider auch beim Platzbedarf. Das Dreiwellen-Getriebe braucht ordentlich Raum und thront mitten in der Kabine. Beidseitig stehen nun jeweils fünf Akkuzellen, die genau in den Leerraum zum Haus hin passen. Damit noch etwas untergebracht werden kann, sind im hinteren Teil noch zwei Ebenen eingezogen. Eine einigermaßen detaillierte Ausgestaltung des Fahrerhauses konnte zu dem Zeitpunkt vergessen werden, denn sonst hätte die Technik nie und nimmer Platz gehabt. Auf den beiden „Dachboden“-Ebenen finden nun ein paar ganz tolle Dinge ihren Arbeitsplatz: Neunkanal-Empfänger sowie S20-Fahrregler von Servonaut, ­Steuerplatine für die Schaltung, Platine mit Leistungsrelais für die Umschaltung von Nebenantrieb, Kran und Hydraulikpumpe, Fahrregler für den Kipper und den Nebenantrieb, Vierkanal-Schalter, Kleinfahrregler für die Stützen und der Umschaltbaustein für die Kranfunktionen. Das BEC machte im Haus thermische Probleme, also wurde es kurzerhand an den Rahmen geschraubt. Der „Kühlkörper“ in Form des Rahmens ist nun groß genug und das BEC-System zufrieden. Viele bunte Kabel Aus besonderer Leidenschaft muss ich die ganze Elektrifizierung immer selbst und dann noch mit möglichst vielen Funktionen machen. Am besten mit allem, was das Original auch hat. Bezüglich der Feinfühligkeit hat Servonaut beim S20 nicht zu viel versprochen, die ist wirklich gut. Auch die Lichtfunktionen sind sehr stimmig. Die Massennachbildung beim Abbremsen bereitete mir anfänglich einige Probleme – denn ich musste mich auf den wesentlich längeren Abbremsweg im Vergleich zu Reglern anderer Hersteller einfach erst gewöhnen. Was nicht ohne den einen oder anderen Unfall auf dem Parcours vonstattenging. Der Kran-Umschaltbaustein von Leimbach ist ein alter Bekannter, der unauffällig und treu seinen Dienst tut. Ein weiterer alter Bekannter ist der PS4a von CTI, der das Licht und über Relais den Umschaltbaustein, die Hydraulikpumpe und die Umschaltung auf den Nebenantrieb steuert. Sein jeweiliger Gemütszustand wird über LED im Armaturenbrett, oder zumindest das, was fragmentarisch davon noch vorhanden ist, angezeigt. Eine blinkende LED in Rot macht bei Umschaltung auf den Kran auf sich aufmerksam, eine ­orangefarbene beim Nebenantrieb, eine grüne bei Hauptspannung und eine gelbe bei Pumpenbetrieb. Daneben zeigt eine Siebensegment-Anzeige den jeweils eingelegten Gang an. Des Weiteren hält ein kleiner CTI-Fahrregler die Stützen unter Strom. Die Ansteuerung erfolgt von der Fernsteuerung aus über einen Kippschalter. Die vorderen Leuchtmittel sind mit LED ausgeführt, die Drehleuchten stammen von Fechtner und die Ansteuerung dazu ist im Fahrerhausdach eingeklebt. Die hinteren Leuchten stammen von Veroma und wurden für 3-Millimeter-LED modifiziert. Gerade bei solch kleinen elektrischen Problemstellen habe ich eine neue Lösung entdeckt, nämlich Plasti-Dip. Diese Flüssigkeit ist wirklich multifunktional einsetzbar. Die Nebenantriebe sind vereinstypisch als Lautsprecherbuchse ausgeführt und vorne und hinten angebracht. Ab in die Luft Um die armen Straßenarbeiter nicht über Gebühr zu schinden, übernimmt ein Ladekran die schweren Arbeiten. Im Original waren die meisten in der 9-Metertonnen-Klasse angesiedelt, also nicht gerade übermäßig kräftig. Das Modell beherrscht im Wesentlichen die gleichen Funktionsabläufe. Beim Original-Steyr liegen der Tank, der Batteriekasten und die Druckluftbehälter außen am Rahmen. Die konnte ich in der Form nicht nachbilden, da die beiden seitlichen Anbauräume schlicht und ergreifend von der Hydraulikanlage vereinnahmt wurden. Aber dafür haben sie dort wunderbar Platz und stehen für Kontroll- und Servicearbeiten jederzeit Gewehr bei Fuß. Der Filter versteckt sich im Rahmen. Die Grundplatte der Kransäule ist gleichzeitig als Rahmenquerträger ausgebildet und besteht aus zwei Lagen mit je 3 Millimeter Stärke, die sechsfach mit dem Rahmen verschraubt ist. Die Steuerung des Krans erfolgt mit Eurosteuerung, sodass das Denken beim Kranfahren entfallen kann. Damit der Zweiachser nicht umfällt, hat er natürlich auch zwei Stützen. Die haben mir einiges an Kopfzerbrechen bereitet, darum wurden sie auch als Letztes realisiert, weil mir einfach die Ideen gefehlt haben. Eines gleich vorweg: Die Ausschübe funktionieren leider nur manuell. Erstens hatte ich wegen des funktionsfähigen Schalen-Greifers keine Hydraulikfunktionen mehr frei. Zweitens war für eine mechanische Realisierung kein Platz mehr und drittens hatte ich auch für eine Ansteuerung keinen Kanal mehr frei. Der Träger ist mit dem Rahmen verschraubt. Die Ausschübe aus Messing-Vierkant-Rohr haben Ausfräsungen, die in den Befestigungsschrauben gleiten und damit den Weg mechanisch begrenzen. Die Stützen selbst werden durch einen Elektro-Winzling angetrieben, der seine spärlichen Kräfte über Kegelräder auf eine Gewindespindel überträgt, die ihrerseits die Stützen rauf und runter fahren lässt. Ein Freistich in beiden Endstellungen beruhigt das Herz des Fahrers und schont das Werkstattpersonal. Zur Abstützung genügt meistens das Ausfahren der Stützen, die Ausschübe sind oft gar nicht notwendig, da der Kran dann sowieso an seine Hubkraftgrenzen stößt. Zu guter Letzt ist am Rahmen eine entsprechende Kranablage verschraubt, die den Kran im zusammengelegten Zustand in seiner Stellung hält. Mit den mitgeführten Gehängen sind viele Hubarbeiten realisierbar. Dafür ist am Kran ein händisch drehbarer Haken montiert, der mit einer Schraube gegen den Schalengreifer ausgetauscht werden kann. Doch das ist eine andere Geschichte. Darf`s ein bisserl mehr sein Gerade beim Steyr sind dem geneigten Modellbauer in puncto Zubehör fast keine Grenzen gesetzt. Irgendetwas sieht man immer wieder auf der Straße und schon rattern die Zahnräder im Kopf fleißig los. Als Erstes wurde ein Schneepflug gebaut. Dazu musste ein entsprechendes Exemplar von Bruder herhalten. Der Hubmechanismus wurde schnell umgebaut und die Ansteuerung für das Schwenken war auch rasch erledigt. Und schon konnte es in den im Winter 2010/2011 üppig fallenden Schnee gehen. Der Allradantrieb und das durch den Kran hervorgerufene hohe Gewicht auf der Vorderachse bewirken in dieser Disziplin auch ohne Schneeketten bereits wahre Wunder. Es macht einfach Spaß, damit wie im Original schöne Seitenwälle aufzuwerfen. Beim anschließenden „Auftauen“ ist Vorsicht geboten, denn der Schnee kommt wie im Original überall hin. Und Schmelzwasser tut den mechanischen und elektronischen Komponenten nicht wirklich gut. Daher ist es ratsam, die kritischen Stellen mit PlastiDip oder dergleichen zu schützen, doch irgendwann sind auch die Grenzen der Leistungsfähigkeit dieser „Wundermittel“ erreicht. Für den Sommer musste dann natürlich die Kehrmaschine folgen. Hier wurde kurzerhand im eigenen Fuhrpark gewildert und dem Unimog die Kehrmaschine weggenommen. Mit der Längenänderung der Steuerstangen war die Arbeit auch schon geschehen, da die Art der Ansteuerung und des Nebenantriebs identisch sind. Um gleich beim Thema „ausleihen“ zu bleiben: Die Feuerwehr musste die Seilwinde kurzfristig entbehren, denn die passt in die gleiche Bruderaufnahme und der Nebenantrieb passt ja auch schon wieder. Als weiteres erheiterndes Zubehör arbeite ich gerade an einer Straßenwaschanlage in Form eines Sprühbalkens, der von einem 2-Liter-Fass mit Pumpe auf dem Kipper versorgt wird. Über zwei Gardena-Ventile wird entweder gespritzt oder gesaugt. Damit wird nicht nur die Straße schön sauber, sondern auch so richtig nass. Eierlegende Wollmilchsau? Es gibt keine Transport- oder Straßen­erhaltungsaufgabe, die nicht irgendwie mit meinem Steyr 1291 erledigt werden könnte. Er ist ein echtes Allround-Genie, das den ganzen Tag Spaß macht. Eigentlich braucht man zu Veranstaltungen gar kein anderes Fahrzeug mehr mitzunehmen. Doch nicht nur deshalb hat sich jede Sekunde des Baus gelohnt. Auch die Stunden, in denen scheinbar sinnloser Abfall produziert wurde. Man lernt und wächst mit jedem modellbauerischen Misserfolg. Und mit dem Erfolg erst recht.