Funktionsmodellbau in Brasilien

Funktionsmodellbau in Brasilien

In Ausgabe 5/2020 von TRUCKS & Details hat Rainer Nellißen den Verein Turma do Trecho aus Brasilien vorgestellt. In einem zweiten Teil berichtet der Autor nun davon, wie und von wem das Hobby in dem südamerikanischen Land generell ausgeübt wird, unter welchen Bedingungen und welche Art von Modellen dort besonders beliebt sind.

Jeder Funktionsmodellbauer träumt von seinem Modell und versucht, es auf seine individuelle Weise, die sehr unterschiedlich aussehen kann, umzusetzen. Egal, ob klassischer Baukasten, Mischbauweise oder Eigenbau, für alle bietet das Hobby zahlreiche Möglichkeiten. Der Erwerb eines Baukastens ist relativ einfach – zumindest für uns in Europa. Wir konsultieren einfach den örtlichen Handel oder nutzen verschiedene Webshops und Verkaufsplattformen im Internet. Diese können sich – unabhängig von Zeit und Ort – auch in Japan, Europa oder den USA befinden, bestellen können wir trotzdem jederzeit. Dann gibt es als Funktionsmodellbauer aber auch immer Momente, die nicht so richtig glücklich machen. Beispielsweise, wenn Teile wie (Diesel-)tanks, Soundmodule oder Anbauteile nicht richtig passen, funktionieren oder wenn die Menge an eingeplanten Lampen nicht ausreicht. Oder wenn Funktionselemente nicht richtig arbeiten – wie sich öffnende Türen, die Hydraulik an Kränen und so weiter und so fort. Ich könnte die Liste an dieser Stelle endlos fortführen, aber ich denke, alle Modellbauer kennen solche Situationen.

RC-Trucks in Brasilien

Dabei sind wir hier in Europa und vor allem in Deutschland, Österreich und der Schweiz ein wenig verwöhnt und privilegiert. Hierzulande gibt es eine sehr lebendige Funktionsmodellbau-Szene mit einer Vielzahl an Vereinen und Interessengemeinschaften, kleine, spezialisierte Firmen für Modelle und Zubehör. Messen und Ausstellungen rund um das Hobby sowie ein einheitliches Zahlungssystem (für fast ganz) Europa haben wir ebenfalls. Wollen sich Funktionsmodellbauer aus Brasilien etwas aus Deutschland kaufen, wird es für sie sehr teuer. Zum einen ist der Umrechnungskurs von Euro zu brasilianischem Real niedrig, 1 Brasilianischer Real entspricht etwa 0,16 Euro (Stand November 2020). Dann kommen sehr hohe Fracht- und Portokosten dazu, da Brasilien ja sprichwörtlich nicht gerade um die Ecke liegt. Somit sind lange Distanzen zu überbrücken, zusätzlich fallen Steuern und Zölle an. Diese Einnahmen gehen fast vollständig an den brasilianischen Staat. Dazu kommt, dass das monatliche durchschnittliche Einkommen der Brasilianer um ein vielfaches niedriger ist als das in Deutschland. Funktionsmodellbau ist nahezu ein exklusives Hobby. Das durchschnittliche Jahreseinkommen in Brasilien wird mit etwa 8.100,–  Euro angegeben. Im Vergleich dazu: In Deutschland liegt es in etwa bei 43.100,–  Euro. Da sind auch vermeintlich preiswerte (Tamiya)-Baukästen in Brasilien schon recht teuer und exklusiv.

Beliebte Busse

Brasilien ist flächentechnisch ein sehr großes Land. Eins der populärsten Fortbewegungsmittel sind daher Trucks und Busse. Da verwundert es kaum, dass bei den Modellbauern in Brasilien sehr viele Busse gebaut werden, die in zahlreichen Videos und auf Fotos von Messen zu sehen sind. Auf dem europäischen Markt gibt es die Firma Modellbau Buxbaum aus Österreich, die Busmodelle herstellt. Als Standmodelle konzipiert und mit einem Wedico-Fahrgestell versehen, können sie zu fahrtüchtigen Modellen umgebaut werden. Funktionsmodellbauer in Brasilien erstellen sich ihre Busse häufig auf einem Chassis aus dem Hause Tamiya. Oder aus dessen Baugruppen wie Achsen oder Motor. 

Karosserien werden in Brasilien häufig entweder aus Resin gegossen oder aus Polystorol-Platten hergestellt. Für das Gießen müssen Formen erstellt werden, was sich eigentlich nur lohnt, wenn mehrere Teile gegossen werden. Am besten wäre es hier natürlich, wenn sich die zusätzlichen Abgüsse gut verkaufen ließen. Natürlich gibt es auch in dem südamerikanischen Land die Möglichkeit, sich seinen Truck komplett zusammenzustellen oder von einem Modellbauer erstellen zu lassen.

Social Media-Vertrieb

Es gibt an der Copacabana auch einige Modellbauer, die Karosserien wie Busse oder Fahrerhäuser herstellen und vertreiben. Häufig wird der Vertrieb und Verkauf über Facebook oder Instagram organisiert. Das sind dann aber meist Anfertigungen von Einzelstücken, die nicht für den Massenmarkt bestimmt sind. Gerne werden Fahrerhäuser mit Hauben gebaut, die in Brasilien auf den Straßen unterwegs sind.

Neben den Fahrerhäusern und Anbauteilen gehören auch Lager und Paletten zu einem authentischen Arbeitseinsatz. Die Lager werden mit Palettenware bestückt und mit Gabelstaplern be- und entladen. Die Paletten werden dann auf die Trucks geladen. Wie in Deutschland, beschäftigen sich auch in Brasilien Modellbauer mit der Gestaltung von Parcours-Landschaften, die sie mit Details ausstatten. Nur werden dann natürlich Produkte oder Geräte vom heimischen Markt nachgebaut.

In Brasilien gibt es auch die Möglichkeit, BRUDER-Modelle zu kaufen. Begehrte Grundlage, um Modelle funktionsfähig zu machen. Findige Modellbauer stellen beispielsweise die passenden Antriebskomponenten für BRUDER-Traktoren her und bauen sie bei Bedarf in die jeweiligen Modelle ein. 

Die großen europäischen Hersteller von Nutzfahrzeugen wie Scania, Mercedes oder Volvo bauen ihre Fahrzeuge für einen globalen Weltmarkt. Darüber hinaus gibt es aber auch Varianten, die rein für den südamerikanischen Markt gebaut werden. Dabei kann es sich um besondere Achskonfigurationen oder Modellreihen handeln, die es in Europa so nicht gibt.

Eine große Gemeinsamkeit mit Funktionsmodellbauern in Deutschland und Europa ist die Leidenschaft und der Einfallsreichtum, mit der die Hobbyisten ihrer Beschäftigung nachgehen. So entstehen immer neue, kreative und beeindruckende Modelle – auf beiden Seiten des Äquators.